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„Wir vertrauen unseren Idealen“

Franziska Richard führt das Parkhotel Bellevue & Spa Adelboden in dritter weiblicher Generation. Im Interview verrät die Direktorin, weshalb ein weißes Tischtuch immer modern ist und warum sie auch in Zukunft intuitiver Führung vertraut.

Franziska Richard Inhaberin Direktorin Parkhotel Bellevue & Spa Adelboden

Seit November 2018 Gastgeberin im Bellevue Parkhotel & Spa Adelboden: Franziska Richard, Direktorin und Mitglied der Besitzerfamilie Richard. (Foto: Bellevue Parkhotel)

elevatr: Frau Richard, was macht ein gutes Hotel aus?

Franziska Richard: Ein gutes Interieur, eine gute Küche, lustige Kellner und ein traditionelles Bewusstsein für Gastlichkeit. Daraus ergibt sich meistens die gute Atmosphäre.

Was meinen Sie mit einem traditionellen Bewusstsein für Gastlichkeit?

Es fängt mit dem weißen Tischtuch an. Am Tischtuch erkennt man als Gast, wo man gelandet ist. Viele Hotels haben es wegrationalisiert, dabei ist es mehr als ein Stück Textilie. Es ist ein Ausdruck von Gastlichkeit, von Fürsorge, auch von Luxus und Großzügigkeit. Das gastliche Hotel geht vom mündigen Menschen aus. Hier gibt es null Ideologie. Es stellt sich in den Dienst des Menschen, der selbst weiß, ob ihm der Gemüse-Smoothie oder der alte Bordeaux-Wein besser bekommt. In einer Welt, die immer moralischer wird, ist das eine große Wohltat.

Sie haben als Food-Autorin gearbeitet, bis Sie im November 2018 als Direktion das Bellevue Parkhotel übernommen haben. Was hat Sie bewegt, in den Familienbetrieb einzusteigen?

Die Rückkehr ins Hotel habe ich in erster Linie deshalb getan, weil es um die Erhaltung des Familienerbes ging, dies durchaus auch im materiellen Sinne. Vor gut zwei Jahren kam der Punkt, wo für uns klar war, dass wir den Betrieb wieder selbst führen wollen. Es war für mich auch eine ideelle Entscheidung. Das Bellevue ist mir heilig.

Sie treten in die Fußstapfen Ihrer Mutter und Ihrer Großmutter, die als Gastgeberinnen und Direktorinnen das Bellevue groß gemacht haben. Was haben die beiden aus Ihrer Sicht besonders richtig gemacht?

Ihr Knowhow manifestiert und manifestierte sich im Kleinen, in der Millimeter-Arbeit, die auch Knochenarbeit ist. Auf Bestehendem aufbauen und justieren. Das ist auch das, was mir am meisten Spaß macht. Interessanterweise nimmt das der Gast auch viel stärker wahr als die großen Würfe wie Bauten.

Wie haben Sie die beiden Frauen als Gastgeberinnen erlebt?

Meine Großmutter kannte ich leider nicht. Aber man sagt von ihr, sie wäre gerecht und sorgfältig gewesen. Eine Vorausdenkerin mit entsprechender Durchsetzungskraft. Meine Mutter war fürsorglich und mütterlich. Sie konnte Menschen sehr schnell erfassen – auch mit ihren Wünschen und Bedürfnissen. Noch heute schwärmen die Gäste von ihrer Rösti, die sie am offenen Kamin knieend zubereitete – im Seidenkleid notabene. Sie machte ihre Arbeit also mit großer Hingabe.

Inwiefern führen Sie das Hotel anders als Ihre Mutter?

Meine Mutter verstand sich mehr oder weniger als einzige Gastgeberin. Ich hingegen verstehe auch Mitarbeitende als Gastgeber. Natürlich haben wir auch den Betrieb professionalisiert, jede Abteilung hat heute einen Leiter oder eine Leiterin. Das war damals anders. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass meine Mutter mit einer einzigen Liste gearbeitet hat, jener der Ankünfte und Abreisen. Bei mir sind es einige Listen mehr, die Bürokratie wächst und wächst.

„Dozierende von Hotelfachschulen würden die Augen rollen, wenn sie sähen, wie ich das Bellevue führe.“
Franziska Richard

Woran halten Sie fest?

Wir vertrauen unseren Idealen – letztlich ist es eine Weiterführung von Großmutters und Mutters Philosophie. Beraterfirmen hätten bei uns ziemlich viel zu tun. Aber ironischerweise benötigen wir sie nicht, weil sich die Großzügigkeit eben auszahlt. Hotels ticken anders als Banken und Versicherungen. Hier gibt es die unausgesprochene Übereinkunft zwischen Gästen und Gastgebern: Du gibst mir, ich gebe dir. Man muss auf gute Zahlen warten können, doch das wird schwierig, wenn sie Hotelmanagern von heute in Echtzeit auf dem Handy aufpoppen. Mit der Benchmark-Kultur sind sie auch im steten Wettbewerb mit ihren Berufskollegen. Ich mache vieles intuitiv und leite das Hotel nicht mit dem Taschenrechner. Das empfinde ich im Bellevue als sehr privilegiert.

Ist das denn zeitgemäß?

Dozierende von Hotelfachschulen würden wahrscheinlich die Augen rollen, wenn sie sähen, wie ich das Bellevue führe.

Inwiefern?

Sie lehren das Yield Management. Wir im Bellevue haben uns bewusst gegen eine nach der Nachfrage gesteuerte Preispolitik entschieden, weil wir glauben, dass sie Gift für die Kundenbindung ist. Das moderne Hotel scheut die hohen Kosten und tiefen Erträge der Küche. Bei uns ist die Küche jedoch die Lokomotive – und ganz einfach Berufsstolz. Das fing mit meiner Mutter an. Sie lernte an der Seite eines großen französischen Chefkoches im Bellevue kochen. Über das Essen haben wir am Familientisch immer leidenschaftlich gesprochen, ich tue es noch heute mit unseren Köchen, und sie lieben das. Der wahre Gastronom spart bei den Produkten nicht, er ist sogar etwas unvernünftig. Das kommt zurück. Gutes Essen macht Gäste glücklich.

Was machen Sie noch anders?

Hotelmanagern wird heute gelehrt, sie mögen ihre Flughöhe hochhalten. Bei mir schwankt sie sehr. Ich verrichte neben Direktionsaufgaben auch Basis-Arbeit, weil mir das einfach sehr Spaß macht. Ich mag es beispielsweise, im Weinkeller Flaschen zu räumen. Hier kommt man nicht nur zur Ruhe, sondern zu guten Gedanken. Und ganz nebenbei hat man mal wieder vor Augen, was für Schätze dort liegen.

Die Schweizer Hotelfachschulen gelten als die besten der Welt.

Ja, das stimmt. In Ratings brillieren sie immer wieder. Doch die Struktur der Schweizer Hotellerie ist für die neuen, akademischen Ausbildungsgänge noch immer zu klein. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten Absolventen nach der Ausbildung ins Ausland, in die großen Ketten oder in die Luxusgüterindustrie gehen. Viele verlassen nach dem Abschluss die Branche, die Frauen noch zahlreicher als die Männer.

Juwel der klassischen Moderne: das Bellevue Parkhotel & Spa in Adelboden. Mit seiner eleganten, schnörkellosen Fassade wurde es 1931 im Stil des Bauhauses errichtet. Designmöbel aus dem midcentury schmücken die Zimmer. (Fotos: Bellevue Parkhotel)

Was meinen Sie? Woran liegt das?

Wir müssen uns fragen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, ob der Hotellerie nicht langsam die Poesie abhandenkommt. Wir begünstigen mit dieser auf Wachstum ausgerichteten Hotellerie auch den Massentourismus. Die kritische Diskussion über Massentourismus ist bei Touristikern praktisch inexistent. Doch Corona hat die Menschen auch hinsichtlich Reisen zum Nachdenken bewogen. Wir reisen zu schnell und zu oberflächlich, dessen sind sich viele Menschen in der Krise bewusst geworden. Die Sehnsucht nach individuelleren und persönlicheren Hotels wächst. Aber diese brauchen bessere Überlebenschancen. Bereits im Frühjahr 2021 standen in der Schweiz 500 Hotels zum Verkauf. Das Bellevue gehört heute schon zu den wenigen Häusern, die auf diesem Niveau noch unabhängig und inhabergeführt sind. Dem Tourismusland Schweiz müssten diese Hotels mehr wert sein, mindestens im Marketing. Das würde indirekt auch der Frauenförderung dienen.

Können Sie Letzteres erläutern?

Mit dem Verschwinden des Familienhotels sind Frauen in der Direktorenrolle eher auf dem Rückzug. Schade, denn die Art, wie Frauen Hotels führen, entspricht dem Gästebedürfnis. Es gibt natürlich viele fantastische männliche Hoteliers, dennoch glaube ich mittlerweile, dass Frauen Hotels anders prägen. Sie sind oft näher an der Sache, sie führen Hotels aufgrund ihrer alten, tradierten Rollen traditionell und modern. Die Zufriedenheit der Gäste ist für sie zentral. Schließlich liegt ihnen auch das Multitasking, das in dieser Aufgabe wichtig ist. Das alles befähigt sie, aus einem Hotel einen Kosmos zu schaffen, auch einen Zufluchtsort, der in einer zunehmend anonymisierten Welt seine Kundschaft findet.

Was würden Sie Frauen empfehlen, die eine verantwortliche Position anstreben?

Sie sollten im Alltag mehr wagen, öfters Grenzen und Konventionen überschreiten, ungeachtet dessen, ob sie dann noch „geliebt“ werden oder nicht: ganz banal in einer Sitzung mal Klartext sprechen, unangepasst sein, vielleicht auch unperfekter.

„Wir müssen uns fragen, ob der Hotellerie nicht langsam die Poesie abhandenkommt.“
Franziska Richard

Wie motivieren Sie Ihre Teams?

Das ist mir manchmal selbst ein Rätsel. Es ist schon fast berührend, wie unsere Mitarbeitenden einfach alles geben und sich mit dem Hotel sehr stark identifizieren. Aber vielleicht spüren sie, dass ich eine große Bewunderung für sie habe. Menschen, die mit Hingabe im Dienstleistungsbereich arbeiten, sind für mich schon die Helden der Zeit. Umgekehrt kann ich als Mitinhaberin die Interessen des Hauses ungeschminkt und direkt verteidigen. Das scheint ihnen zu gefallen.

Gibt es Mitarbeitende, die Ihre Motivation hochhalten?

Ja, sehr viele sogar. Das Hotel ist auch für mich das beste Anti-Depressivum. Es ist sehr lebendig und wie eine große Familie.

Nach welchen Kriterien suchen Sie sich selbst ein Hotel für Ihre Privatreisen aus?

Ich suche den „verzauberten“ Ort, jener, der etwas schräg in unserer Zeit steht und doch mit ihr geht. Ich mag das Überdefinierte nicht, komplett durchgestylte Designhotels gefallen mir nicht. Aber wenn ich sehe, dass jemand mit Leidenschaft und vielen Überlegungen ein Gesamtwerk geschaffen hat, dann finde ich das sehr schön und bemerkenswert.

Tomas Niederberghaus