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Digitizing Gastronomy

Wie wird sich die Digitalisierung auf die Hotelgastronomie der Zukunft auswirken? Ronny Rohland, IT-Experte und Co-Founder von Simply Delivery, über Ghost Kitchens, datengetriebene Prozesssteuerung und Algorithmen, die Entscheidungen treffen.

Das Wort "Eat" als Leuchtreklame

Essen ist ein emotionales Thema. Doch auch in der Gastronomie schreitet die Digitalisierung voran. Wie sich das verträgt, erklärt Experte Ronny Rohland im Interview. (Foto: Tim Mossholder/Unsplash)

elevatr: Ronny Rohland, welche Wünsche haben Sie für die Gastronomie 2022?

Ronny Rohland: Ich wünsche der Gastronomie, dass sie bald wieder ihre Stärken als „Dritter Ort“ ausspielen und zukunftsreiche Perspektiven für Mitarbeitende und Unternehmer bieten kann. Die Rahmenbedingungen dazu sind extrem wichtig und deshalb wünsche ich mir diesbezüglich auch politische Entscheidungen mit Augenmaß.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit waren die großen Themen des Jahres 2021. Wie passen diese beiden Felder in der Gastro-Küche zusammen? 

Ich denke, dass wir mit der Digitalisierung in der Gastronomie in der Fläche erst am Anfang stehen. Die Transformation wird sich fortsetzen und deutlich intensivieren. Digitalisierung in der Küche bedeutet dabei nicht nur die Aus- und Ansteuerung von Geräten, das ist nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes. Digitalisierung umfasst vielmehr die Orchestrierung von Prozessen – von den Lieferketten zwischen Versorger und Gastronom bis hin zum Bestellvorgang. Diese Vernetzung verschiedener Prozesse und Abläufe ist ein zentrales Thema: wie löst man „Digitalisierungs-Inseln“ auf und wie integriert man die Prozesse in ein holistisches System, um die daraus entstehenden Optimierungs- und Synergie-Effekte effektiv nutzen zu können – und um nachhaltig arbeiten zu können.

No-Shows und Food Waste – beides möchte die Gastronomie vermeiden. Wie kann Digitalisierung dabei konkret helfen? 

Das sind zwei verschiedene Aspekte mit ähnlichen Problemstellungen und Auswirkungen im operativen Geschäft. In beiden Fällen müssen Daten verfügbar sein und gesammelt werden. Dies schafft die Voraussagen für ein gutes Revenue-Management. Ganz ähnlich wie Hotels über die Zeit ihre Buchungsmechanismen optimiert haben, muss dies in mindestens ähnlich intelligenter Form in der Gastronomie geschehen. Konsequent datenbasiertes Arbeiten und ein vollständig digitalisierter und vernetzter Prozess helfen nachhaltig, Foodwaste zu verringern und No-Shows zu begegnen. 

Je besser Auswertungen und Voraussagen aus der zur Verfügung stehenden Datenbasis beziehungsweise aus möglichst vielen Quellen sowohl zurückliegender Daten, als auch aus Echtzeitdaten, möglich sind, umso präziser lassen sich Prozesse aussteuern. So lassen sich etwa Warenflüsse im Tagesgeschäft und für die folgenden Tage auf Grund valider Entscheidungen aus eben diesen Daten optimieren und auch über die Grenzen des eigenen Geschäfts bis zum Lieferanten und Logistiker vernetzen. No-Shows bedürfen eines konsequent digitalen Buchungsprozesses mit entsprechenden Methoden, um ein Nicht-Erscheinen des Gastes zu erschweren oder gegebenenfalls automatisiert abzurechnen.

„Für jeden Prozess-Schritt, der mehr als dreimal manuell wiederholt wird, lohnt es sich, über einen Digitalisierungs-Ansatz nachzudenken."
Ronny Rohland

Was ist das Minimum an Digitalisierung, das eine Gastronomie heute benötigt? Und welche Chancen sehen Sie diesbezüglich in der KI? 

Augenzwinkernd könnte man sagen: Für jeden Prozess-Schritt, der mehr als dreimal manuell wiederholt wird, lohnt es sich, über einen Digitalisierungs-Ansatz nachzudenken. Das läuft letztlich auf die Frage hinaus, welche Prozesse überlässt man dem Menschen und welche übergibt man einer Maschine beziehungsweise einer KI oder einem Algorithmus? Zulieferung, Personalplanung, Marketing, Reservierung, Order-at-the-Table ­– in allen Bereichen ist vor dem Hintergrund knapper Ressourcen und einer angespannten Personalsituation ein effizienter Einsatz der zur Verfügung stehenden „Mittel“ notwendig. Gerade hier kann eine konsequente Digitalisierung sehr hilfreich sein. 

Eine wirksame Verknüpfung und Vernetzung all dieser genannten Aspekte ermöglicht es, den Vorteil von algorithmisch getriebenen Prozessen zu nutzen. Entscheidungen und Voraussagen innerhalb dieser Prozesse sollten dabei stets auf Basis von möglichst guten Daten aus einem holistischen Systemansatz von einem Menschen oder zunehmend auch durch einen Algorithmus getroffen werden.

Ein Beispiel: Bestenfalls trifft ein Mensch die Entscheidung über die Höhe des Marketing-Budgets und den Schwerpunkt, eine Maschine übernimmt dann aber alle Entscheidungen, wann und wo mit welchen Mitteln Marketing betrieben wird. Wertet aus, wie wirksam die Maßnahmen sind und welche Aussteuerung jetzt auf Basis dieser Daten vorgenommen wird. Ein Algorithmus kann deutlich schneller Entscheidungen treffen, als ein Mensch, weil er eine bessere Kenntnis aller Daten hat. Sollte eine operative Entscheidung von einem Menschen getroffen werden müssen, so muss die Datengrundlage so verdichtet aufbereitet sein, dass lediglich ein Blick und ein Klick genügt. 

„Service-Mitarbeitende werden zu Beratern, Inhaber zu narrativen Marken-Managern.“
Ronny Rohland

Sie sind angetreten mit dem Wunsch, die Gastronomie in ein digitales Zeitalter zu führen. Wo stehen wir heute und wo geht die Reise hin? 

Wir sehen uns durchaus als einer der Vordenker für die Digitalisierung in der Gastronomie-Branche – stehen aber am Anfang des Weges. Nicht zuletzt die Pandemie hat klar gezeigt, wo die Reise hingehen wird: gerade jetzt ist der Innovationsdruck groß und hat zu vielen neuen Ideen und Konzepten geführt. Unter anderem sind viele Delivery-Konzepte gekommen, um großflächig zu bleiben. 

In zehn Jahren werden wir einen ganz anderen Grad an Digitalisierung erreicht haben, viele Berufsbilder werden sich voraussichtlich radikal ändern. Service-Mitarbeitende werden zu Beratern, Inhaber zu narrativen Marken-Managern. Vielleicht werden die Fahrer schon Roboter sein. Der Einfluss von Daten und deren Anwendung wird omnipräsent. Datenmanagement wird stetiger Entscheidungs- und damit in aller Konsequenz auch Erfolgsfaktor sein – und der Treiber für alle Geschäftsprozesse. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari hat das in einem seiner Bücher auf den Punkt gebracht: „Wissen ist Macht reicht heute nicht mehr aus. Das Wissen beziehungsweise die Informationen müssen kontrolliert, gefiltert, kategorisiert, bewertet und verarbeitet werden“. Wer das am besten versteht, schafft die Grundlagen für ein erfolgreiches Wirtschaften. Das gilt nicht nur für die Gastronomie. 

Welche Faktoren sind nötig, damit dies gelingt – auch auf Seite der Gastronomen?

Grundsätzlich lässt sich dies auf die Frage nach der Bereitschaft zur Veränderung zurückführen. Wie schnell und nachhaltig können neue Konzepte in der Gastronomie geprüft und implementiert oder auch wieder verworfen werden? Wie nachhaltig sind die Konzepte und was kann bewahrt werden?

Mensch vs. Maschine: Wer wird sich im Service und hinter dem Herd „durchsetzen“? 

Das kommt sehr stark auf das Konzept der Gastronomie an. Prinzipiell gibt es für jedes Konzept eine Daseinsberechtigung. Steht der Zeitaufwand beziehungsweise die pure Nahrungsaufnahme im Vordergrund, lassen sich standardisierte Nahrungszubereitungen sehr gut durch Roboter ergänzen oder ersetzen, die hochgradig automatisiert arbeiten. Das Unternehmen „Aitme“ aus Berlin ist hier ein Vorreiter. Geht es um Erlebnis und Kultur, so steht der Mensch im Mittelpunkt. Zubereitung und Aufnahme von Essen hat eine starke soziale und kulturelle Komponente, das ist nicht außer Acht zu lassen – vor allem in unserer schnelllebigen Zeit.

Apropos schnelllebig: Prognosen haben schon vor einiger Zeit besagt, dass Ghost Kitchens die Restaurants, wie wir sie kennen, langsam ersetzen. Sprich dass ein Restaurant keinen Gastraum mehr haben wird, sondern auf Liefer- oder Take-away-Basis arbeitet. Liegt darin auch Potenzial für die Hotellerie?

Nicht genutzte Kapazitäten in der Hotel-Gastronomie lassen sich sehr gut für Ghost-Kitchens in der Liefergastronomie nutzen. Nicht zuletzt, weil sich in Hotelküchen meist problemlos mehrere Konzepte zeitgleich implementieren lassen. Derartige virtuelle Restaurants, also ohne Gastraum, werden sicher nicht alle üblichen Restaurants ersetzen. Denn am Ende bleibt mein Lieblings-Italiener einfach mein Lieblings-Italiener, der mich beim Besuch herzlich begrüßt und weiß, was ich mir wünsche. Aber allgemein sind Ghost-Kitchens eine Möglichkeit zur Steigerung von Auslastung und Effizienz.

Einige Zukunftsforscher sprechen schon heute davon, dass wir den Idealzustand unseres Mikrobioms, also des Bakterienmixes im Darm, durch Mineralien und weitere Elemente aus dem 3D-Drucker optimieren werden. Wird es künftig in jedem Restaurant einen 3D-Drucker geben? 

Mahlzeitenersatz-Produkte wie „Huel“ oder „YFood“ nehmen diese Entwicklung schon ein wenig vorweg. Und sicherlich haben diese auch ihre volle Daseinsberechtigung, wenn die Nahrungsaufnahme und Effizienz im Fokus stehen. Es geht aber auch darum, welchen Stellenwert Nahrungsmittel für den Einzelnen einnehmen. Am Ende sind Kochen und Essen Kultur und Genuss. 

Ein anderer Aspekt beim „Drucken“ von Nahrung ist die Frage nach der Nachhaltigkeit und der Herkunft. Kann beispielsweise synthetisches „Fleisch“ in gleicher Qualität, mit gleichem Geschmack und authentischer Textur direkt im Restaurant hergestellt werden wie ein „übliches“ Steak, so kann das im Hinblick auf Zusammensetzung, Ethik und Ressourcenschonung durchaus einen Stellenwert in der persönlichen Auswahl spielen. Letzteres kann sicherlich zu einem Trend werden.

„Zubereitung und Aufnahme von Essen hat eine starke soziale und kulturelle Komponente, das ist nicht außer Acht zu lassen.“
Ronny Rohland

Sie haben unlängst ein Loyalty-Programm für die Gastronomie gelauncht. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in diesem Kundenbindungssystem? 

Gäste sind per se nicht loyal gegenüber einem Unternehmen. Es bedarf neben eines erstklassigen Produktes als Ausgangsbasis auch einer gewissen Incentivierung beziehungsweise eines Brandbuildings, um eine Kundenbindung für das eigene Unternehmen zu erreichen. Ein Loyalty-Programm ist dafür prädestiniert. Spannend ist folgendes: In voller Ausbaustufe ist ein Loyalty-Programm nicht nur für die Kundenbindung und das Upselling da. Vielmehr kann ein solches Programm genutzt werden, um auf Basis der zur Verfügung stehenden Echtzeitdaten gewisse Parameter zu ändern. Lassen Sie mich das am Beispiel eines Lieferrestaurants konkretisieren: ein Loyalty-Programm, wie von uns angedacht, steuert beispielsweise die Höhe der Bonuspunkte in Korrelation mit den Auslastungs-Graden von Küche und Logistik. Damit handelt es sich um eine datengetriebene Prozesssteuerung.

Zu Ihren Kunden zählen große Systemgastronomien und Lieferdienste. Was kann die Hotellerie von diesen Unternehmen lernen? 

„Burgerme“ ist hier ein sehr gutes Beispiel: neben exzellenten Produkten und einem modernen Management mit tollen Visionen und Konzepten zählen operativ vor allem: Prozesse, Prozesse, Prozesse. Zudem Standardisierung und Organisation. Dazu gehören selbstverständlich auch Brandbuilding, Quality Management und die Fähigkeit sowie der Wille zu ständigem Wandel und zur Entwicklung. 

Wie sieht die (Hotel)-Gastrolandschaft in ferner Zukunft aus?

Ich denke, dass die „klassische“ Gastronomie ganz ähnlich sein wird wie heute – und mir als Gast weiterhin ein persönliches und personalisiertes Erlebnis bieten möchte. Auf der anderen Seite wird die Gastronomie ergänzt werden durch auf Effizienz getrimmte Konzepte, die generalisiert und marketinggetrieben arbeiten und für mich als Kunden nur pseudo-individuelle Angebote bereithalten. 

Egal aber, ob klassisches Restaurant-Erlebnis oder Ad-hoc-Nahrungsaufnahme: ich denke, alles wird massiv datengetrieben, möglichst automatisiert und konsequent digitalisiert und dabei nachhaltig und ressourcenschonend gestaltet sein. Die Vernetzung über Grenzen einzelner Akteure hinweg ist heute schon Thema und wird es noch viel stärker werden. Franchising wird mehrschichtiger werden: Es werden Konzepte und Programme entwickelt, die die Vorteile eines Franchisesystems übertragen auf einzelne Stores, ohne dass diese ihre Individualität und Unabhängigkeit verlieren. 

Interview: Verena Usleber

Ronny Rohland ist seit 20 Jahren als Unternehmer in der IT-Branche tätig und seit 2014 Co-Founder und CTO sowie Geschäftsführer von Simply Delivery. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin bietet Restaurants und Lieferdiensten ein ganzheitliches Betriebssystem, mit dem die Prozesse von der Bestellverwaltung über die Auslieferung bis hin zum Restaurantmanagement digitalisiert werden können. Zudem hat Simply Delivery ein digitales Loyalty-Programm entwickelt, mit Hilfe welches Gäste im Restaurant oder im Webshop Punkte mit einem individuell festgelegten Geldwert sammeln und bei zukünftigen Bestellungen einlösen können. (Foto: Simply Delivery)